Art Brut

Naive Kunst ist eigentlich eine Sammelbezeichnung für künstlerische Arbeiten von Autodidakten, vorwiegend in der Malerei. Diese Arbeiten zeichnen sich oft durch betont einfache, phantasievolle Wahl der Bildmotive und einen “unbekümmerten” Zugang zur Kunst aus.

Die “Blütezeit” der naiven Kunst sind die 1960er und 70er Jahre – und sie traf auf so große Begeisterung, dass an ihren Rändern auch schnell massenindustrielle “Heile-Welt-Bildchen” auftauchten, die der naiven Kunst ganz zu Unrecht den Ruf als “Sonntagsmalerei” einbrachten.

Die Sujets dieser pseudonaiven, oft routiniert produzierten Arbeiten entstammen öfter bäuerlichen sowie naturbezogenen Erfahrungen. Davon abzugrenzen sind die Werke der eigentlichen naiven Kunst, die sich durch hohe Authentizität und die existenzielle Wucht des tatsächlich Naiven (im Doppelsinn von “eingeboren” und von “ungekünstelt, unverdorben”) auszeichnen.

Der unbekümmerte, oft selbst-ausgebildete Ansatz der Malerei vereint die verschiedenen Kunstströmungen, die wir in der Galerie Wasserwerk Lange vertreten. Doch während die naive Kunst öfter Motive aus der gesehenen und erlebten Umgebung wählt, zeichnen sich die Arbeiten der Art Brut oft durch ihre Introspektion, ihre Innensicht auf das Seelenleben der Künstler sowie ihre oft rohe, grobe, äußerst intensive und teilweise nahezu schmerzhafte Formensprache aus.

Der französische Künstler und Kunstsammler Jean Dubuffet (1901-1985) prägte den Begriff Art Brut in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts. Er bezeichnete damit Werke von Menschen abseits des etablierten Kunstsystems und ohne jegliche Kunsterfahrung und Erziehung. Werke von Einzelgängern, Unangepassten, Patienten einer psychiatrischen Klinik, Häftlingen, von Menschen, die sich der Gesellschaft verweigern.

Art Brut – in der deutschen Übersetzung etwa: rohe, unverfälschte Kunst – hat im französischen Original noch die Nebenbedeutung “edel herbe Kunst”, so wie ein Champagner brut.

Im angloamerikanischen Sprachraum hat sich die Bezeichnung Outsider Art für diese Kunst durchgesetzt, zuweilen auch als Visionary Art oder Self-taught Art bezeichnet. Wie diese Bezeichnung andeutet, handelt es sich teils auch um (selbsttherapeutische) Werke von Autodidakten, entstanden aus einem tiefen seelischen Bedürfnis und nach eigenen ästhetischen Kriterien.  Die Künstler stehen oft außerhalb jeder künstlichen und künsterlischen Tradition und schöpfen für sich selbst – ohne Beeinflussung der mächtigen Kunstkritik – originelle und einzigartige Kunstwerke.

Mittlerweile sind die Naive Kunst, die Art Brut und die Selftaught Art anerkannte und etablierte Zweige der Kunst geworden, ein eigenes Segment, dem der Kunsthandel sowohl internationale Messen wie etwa die Kunstköln und die New Yorker Outsider Art Fair als auch spezielle Magazine wie die englische Zeitschrift Raw Vision widmet. Ein großes Forum für die Vertreter Selftaught Art, die neuerdings auch “neurodivers” genannt werden, bildet die “Outsider Art Fair”, die zu Jahresbeginn immer in New York stattfindet.