Queen mit Pferdegebiss

Der Markt für Outsider-Art wie die von Josef Wittlich wird wiederentdeckt

 

»Outsider-Kunst ist Insider-Kunst«, findet Cai Wagner. Der aktuelle Trend, wie ihn die Biennale von Venedig spiegelte, gibt ihm Recht. Periodisch braucht der Kunstmarkt Blutzufuhr. Im Moment sind das unter anderem authentische, greifbare Positionen wie die von Josef Wittlich. Er malte manisch Gesichter, gerne aus der Regenbogenpresse – »bis zur Kenntlichkeit verunstaltet«, schrieb der »Stern« 1967. Ende der sechziger Jahre stellte der betagte Fabrikarbeiter aus dem Westerwald in den Galerien Rudolf Springer, Brockstedt und Brusberg aus. Seine Hochzeit erstreckte sich auch auf die siebziger Jahre. Ausstellungen im Essener Museum Folkwang und Beiträge in »Titel Thesen Temperamente« beschäftigten sich mit dem Mann, der in seiner Dachkammer das Lächeln der Vivi Bach und die Queen mit Pferdegebiss schön schräg aufs Papier bannte.

 

Nach seinem Tod 1982 wurde es still um ihn und die Kunst der »Naiven« insgesamt. Bis Harald Szeemann 1999 auf der Biennale in Venedig die sogenannte Außenseiterkunst wieder ins Blickfeld rückte. »Richtig teuer« wurden Wittlichs Werke damals – 7900 und 9200 Mark. Anfangs, als er 1967 im Württembergischen Kunstverein durchstartete, lagen sie noch zwischen 400 und 600 Mark, erinnert sich Dieter F. Lange. Vor sechs Jahren erwarb er den Nachlass des Künstlers, den er aus der Außenseiterecke holen will. 1974 bot er seine farbigen Papierarbeiten in ansehnlichen Formaten für 1800 und 2000 Mark an. »Heute liegen sie bei rund 6000 Euro.« Mit Steigerungspotenzial. Etwa 400 Bilder sind noch verkäuflich, darunter Raritäten wie die älteste Arbeit oder die kleinste.

 

Der Blick durch die Brille der Autodidakten wird wieder entdeckt. Morton Bartlett und andere wurden im Hamburger Bahnhof ausgestellt, Wittlichs kesser »AvantPop« im Weltkulturerbe Völklinger Hütte. In Maria Gugging sind mit ihm Art-Brut-Künstler wie Henry Darger versammelt. Im Vergleich zu dessen Werken im satten fünfstelligen Bereich sei Wittlich »ein Schnäppchen«, meint Lange. Nach Erscheinen des Werkverzeichnisses will er die Preise anheben. Außenseiter wie Martin Ramirez oder Bill Traylor kosten zum Teil das Zehnfache. Der Outsider-Markt in den USA, England, Frankreich und der Schweiz sei »viel stärker« und »länger« entwickelt. Wittlichs poppige »Celebrities« haben noch Aufholbedarf. Wagner findet, sein Werk könne »durchaus in einen Dialog mit Andy Wahrhol treten«. In der Galerie Wagner + Partner lässt sich das demnächst überprüfen (24.1. bis 8.3.).

 

Rund drei Jahrzehnte nach Josef Wittlichs Tod erscheint nun auch ein Bestandskatalog, den Lange im Verlag Walther König herausgibt. Er betrachtet es als sein Lebenswerk, »dass der Künstler den Stellenwert erhält, den er verdient«. Zum 111. Geburtstag Wittlichs am 26. Februar 2014 wird er das Werkverzeichnis just an dem Ort vorstellen, an dem dieser gearbeitet hat – in den Steuler-Werken in Höhr-Grenzhausen. Mit Bleistift und Temperafarben malte er in seiner Freizeit an Frauen und Soldaten, Königinnen und Schlachten – insgesamt 1245 Bilder. Seine Motive fand er in Zeitschriften und Katalogen. Eine Reihe dieser Vorlagen wurde aufgespürt. Sie lassen sich im Bestandskatalog mit den Bildern vergleichen. »Ich will ihn aus der naiven Ecke herausholen und in Galerien zeitgenössischer Kunst bringen«, sagt Dieter F. Lange. Ein Anfang ist gemacht.

 

 

Autorin: Andrea Hilgenstock

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